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Michael Steinbach: Einmal Wien - München und zurück
In den späten Zwanzigerjahren eröffneten meine Großmutter und ihre Zwillingsschwester eine Buchhandlung mit Leihbücherei im Wiener 19. Bezirk. Diese Leihbüchereien, wo man für einen Schilling ein Buch ausleihen, lesen und wieder zurückbringen konnte, waren modern während der Weltwirtschaftskrise. Viele Menschen liebten das Lesen, konnten es sich aber in der Inflation, bei steigender Arbeitslosigkeit und niedrigsten Löhnen nicht mehr leisten, die Bücher zu kaufen. Also gingen sie in die Abteilung „Leihbücherei“ in der Buchhandlung meiner Großmutter. Als mein Vater dann in das Geschäft einstieg, gründete er als weitere Abteilung ein Antiquariat. So bin ich umgeben von Büchern, alten und neuen, aufgewachsen, und es ist kein Wunder, dass sich früh der Wunsch regte, später selbst Buchhändler oder besser noch Antiquar zu werden. Nach dem Ende der Schule begann ich also eine Ausbildung bei meinem Vater.
1966 fand in Wien der 18. Kongress der International League of Antiquarian Booksellers (ILAB) statt, mein Vater und ich nahmen teil. Vor allem für mich waren das aufregende Tage, denn ich lernte einige der berühmtesten Antiquare der damaligen Zeit kennen, unter ihnen Glen Dawson aus Los Angeles. Als dieser unser Haus besuchte, sah ich meine Chance gekommen. Ich fragte, ob ich in Dawson’s Bookshop ein Volontariat machen könne, und Glen Dawson stimmte sogleich zu. Wenige Monate später saß ich im Flugzeug der Icelandic Airlines, flog nach New York, stieg dort in einen Greyhound Bus und fuhr quer durch die Vereinigten Staaten nach Los Angeles. Alle Abenteuer, Erfahrungen und Freundschaften aufzuzählen, die auf jene Jahre zurückgehen, würde zuviel werden. Es war eine großartige Zeit, die leider nach anderthalb Jahren ein Ende fand. Wäre ich geblieben, hätte mich die US Army eingezogen. Amerika befand sich damals im Krieg mit Vietnam, daran wollte ich auf keinen Fall teilnehmen.
Zurück in Wien in den späten Sechzigerjahren, erschien mir die Welt zu klein. Der Eiserne Vorhang war noch intakt, Wien lag für mich am Ende einer Sackgasse. Durch die Hilfe meines Vaters kam ich nach München zu Hartung & Hartung (damals noch Karl & Faber, später dann Hartung & Karl). Ich lernte viel von Karl Hartung und schloss Bekanntschaft mit Kollegen wie Helmuth Domizlaff, Rolf Kistner, Dr. Maria Conradt und Dr. Lotte Roth-Woelfle. Auch damals schon wurden zweimal jährlich Auktionen abgehalten. In den Vorbereitungsphasen bearbeitete ich Bücher, die ich sonst wohl niemals zu sehen bekommen hätte.
Nach viereinhalb Jahren als Antiquar und 27 Lebensjahren machte ich mich in Eglharting in der Nähe von München selbstständig. Ich hatte eine Reihe von Büchern gesammelt, genug für einen ersten allgemeinen Katalog, der im Herbst 1972 mit einem gewissen Schwerpunkt auf
illustrierten Büchern erschien. Die Reaktionen waren durchweg positiv, rund 75 Prozent des Katalogangebotes wurde verkauft. Doch dann kam die allen Antiquaren wohlbekannte Frage: Woher bekomme ich Material für die nächsten Kataloge? Es lief ganz gut, bis die Ölkrise in den Siebzigern sich auf die Ökonomie niederschlug. Die Buchverkäufe gingen dramatisch zurück, viele Antiquare fürchteten, ihr Geschäft schließen zu müssen. Schließlich erholte sich die Wirtschaft, und es ging weiter. Da es zu jener Zeit noch viele antiquarische Ladengeschäfte in München gab, wollte ich die Konkurrenz nicht vergrößern. Also entschloss ich mich, von Beginn an ein Versandantiquariat zu führen, regelmäßig Kataloge zu veröffentlichen, von zu Hause aus zu arbeiten, so die Kosten niedrig zu halten – und viel zu reisen. Das war schon immer mein größtes Vergnügen.
Während all dieser Jahre ließ mich der Gedanke nicht los, irgendwann nach Wien zurückzukehren. Aber noch führte mein Vater dort sein Geschäft, und zwei Steinbachs als Antiquare in einer Stadt wäre sicher keine gute Idee gewesen. Also blieb ich vorerst in München und reiste. Ende der Achtziger ging dann mein Vater in den Ruhestand. Durch das Internet und die Globalisierung hat sich die Welt verändert. Die asiatischen Märkte sind immer wichtiger geworden. Längst ist es nicht mehr ausschlaggebend, an welchem Ort der Welt eine Firma beheimatet ist. Was sollte mich demnach daran hindern, von Wien aus meine Kontakte zu pflegen, weitere Reisen vor allem nach Asien zu unternehmen und nach neuen Wegen für den weltweiten Antiquariatsbuchhandel zu suchen?
Der Zufall kam mir zu Hilfe. Ein Freund und Kollege aus Tokio fragte mich, ob ich ihm helfen würde, ein neuartiges Forum für den internationalen Antiquariatsbuchhandel in Japans Hauptstadt aufzubauen. In etwa zur selben Zeit fragte mich ein Wiener Freund und Kollege etwas spöttisch, weil er im Grunde nicht mehr an meine Rückkehr glaubte: „Möchtest du immer noch nach Wien zurück?“ „Natürlich“, sagte ich, worauf er wiederum entgegnete: „Wir treffen uns morgen gegen 18 Uhr. Ich habe eine Wohnung für dich.“ Ich kam, sah die Wohnung und unterschrieb den Mietvertrag.
So kehrte ich nach mehr als 40 Jahren von München nach Wien zurück.
(Veröffentlicht in der September-Ausgabe von „Aus dem Antiquariat“, die englische Übersetzung erschien auf der Website der International League of Antiquarian Booksellers)